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Guanfacin als Therapieoption für Brain Fog und hyperadrenergem PoTS bei Long-COVID

  • Autorenbild: Dr. med. Kristina Schultheiß
    Dr. med. Kristina Schultheiß
  • 13. Feb.
  • 4 Min. Lesezeit

Eine Hand in weiße Spielzeug Gehirn hält auf grünem Hintergrund
Guanfacin könnte gegebenfalls bei kognitiven Störungen bei Long-COVID eingesetzt werden.

Aktuell werden mit großen Anstrengungen neue Therapieoptionen für Menschen mit Long-COVID und ME/CFS gesucht. Ein häufige Komorbidität ist das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (PoTS) und ein häufiges Symptom ist "brain fog".

In diesem Zusammenhang rückt das Medikament Guanfacin, ein zentral wirkender α2A-Adrenozeptor-Agonist, zunehmend in den Fokus. Erste Studien und Fallberichte deuten auf Erfolge in zwei Bereichen hin: einerseits bei der Behandlung von hyperadrenergem PoTS, andererseits bei der Linderung kognitiver Störungen in Folge einer COVID-19-Infektion.


Guanfacin: Wirkmechanismus und mögliche Vorteile

Guanfacine ist als selektiver α2A-Agonist bekannt, der vor allem im Zentralnervensystem an den α2A-Rezeptoren ansetzt. Diese Rezeptoren finden sich in hoher Konzentration im präfrontalen Kortex (PFC). Eine übermäßige Ausschüttung des Neurotransmitters Noradrenalin kann dort zu erhöhter Sympathikusaktivität führen. Guanfacine bewirkt eine Verminderung der Noradrenalin-Freisetzung und wirkt daher „sympatholytisch“. Das kann besonders hilfreich sein, wenn Patient:innen an einem hyperadrenergen Zustand leiden – also an ständig überhöhtem sympathischem Tonus, wie es bei einer bestimmten Subgruppe von PoTS der Fall sein kann.


Darüber hinaus verbessert Guanfacine die Funktion präfrontaler Netzwerke, was sich günstig auf kognitive Fähigkeiten wie Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen auswirken kann. Gerade bei Patient:innen mit Long-COVID und ausgeprägtem Brain Fog scheint diese Wirkung relevant zu sein. Studien weisen zudem darauf hin, dass Guanfacine eine antiinflammatorische oder neuroprotektive Komponente haben könnte, indem es z. B. die Aktivität der Mikroglia dämpft. Bei postinfektiösen Syndromen wie Long-COVID, in denen eine anhaltende leichte Entzündungsreaktion diskutiert wird, könnte dieser Effekt ein weiteres Puzzleteil für eine mögliche Wirksamkeit sein.


Hyperadrenerges PoTS und Guanfacine bei Long-COVID

Ein wesentlicher Fortschritt wurde durch eine Studie mit dem Titel “Hyperadrenergic Postural Tachycardia Syndrome: Clinical Biomarkers and Response to Guanfacine” erzielt. Hier wurden insgesamt 28 POTS-Patient*innen (als „phenotyping-cohorte“) auf bestimmte Parameter hin untersucht, die eine hyperadrenerge Ausprägung anzeigen könnten. Entscheidend war dabei vor allem die Messung des diastolischen Blutdrucks in Phase 2 des Valsalva-Manövers: Stieg der diastolische Blutdruck um mehr als 17 mmHg über den Ausgangswert, deutete dies auf eine besonders hohe sympathische Aktivität hin.


In einem zweiten Schritt wurde in einer separaten, unkontrollierten Behandlungs-Kohorte (38 Patient:innen) untersucht, wie sich Guanfacine auf diese Patient:innen auswirkt. Es zeigte sich, dass jene POTS-Betroffene mit „hyperadrenerger“ Ausprägung (also auffälligen Valsalva-Werten) häufiger und deutlicher auf Guanfacine ansprachen als andere, nicht-hyperadrenerge PoTS-Patientinnen. Insbesondere verbesserte sich die orthostatische Toleranz (gemessen an der Orthostatic Hypotension Daily Activities Scale) und die Fatigue (gemessen an der PROMIS Fatigue Short Form 7a) nahm ab. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere die hyperadrenerge Variante des PoTS von der sympatholytischen Wirkung Guanfacines profitieren kann.


Long-COVID, Brain Fog und die Rolle von Guanfacin

Auch bei Long-COVID, gibt es Hinweise, dass Guanfacin kognitive Defizite (“Brain Fog”) mildern kann. Dies belegen unter anderem zwei Publikationen:


  1. Kondo et al. (2024):Eine 32-jährige Patientin entwickelte drei Wochen nach einer milden COVID-19-Infektion erhebliche Konzentrations- und Gedächtnisprobleme im Rahmen von Long-COVID sowie Wortfindungs- und Leseschwierigkeiten. Blutuntersuchungen, MRT und EEG gaben keinen wegweisenden Befund. Als Therapie wurde Guanfacine Retard in einer Anfangsdosis von 2 mg/Tag verabreicht, später wurde auf 4 mg/Tag gesteigert.


    • Effekte: Bereits nach einem Monat zeigte sich in verschiedenen neuropsychologischen Tests (z. B. THINC-it®, Trail Making Test, Digit Symbol Substitution Test) eine deutliche Verbesserung.

    • Nahinfrarotspektroskopie (NIRS): Nach zwei Monaten Behandlung war auch eine Normalisierung der frontalen Hirnaktivierung nachweisbar.

    • Beobachtung: Ein kurzzeitiges Absetzen des Medikaments führte unmittelbar zu einer Verschlechterung der kognitiven Symptome, die sich nach erneuter Gabe wiederum besserten.

    • Dieses Fallbeispiel demonstriert eindrücklich die mögliche Wirksamkeit von Guanfacine auf anhaltende kognitive Beeinträchtigungen.


  2. Fesharaki-Zadeh et al. (2023):In einer offenen Fallserie wurden zwölf Patient:innen mit Brain Fog beiLong-COVID mit Guanfacin (1–2 mg/Tag) und zusätzlich N-Acetylcystein (NAC) behandelt. Acht Patient:innen erichteten von einer Besserung ihrer Konzentration und Arbeitsgedächtnisleistung. Allerdings brachen vier Personen die Therapie ab, teils aufgrund von Nebenwirkungen wie Schwindel oder Hypotonie. Eine Patientin, die wegen einer vorübergehenden Blutdruckproblematik Guanfacin absetzen musste, zeigte rasch wieder stärkere kognitive Ausfälle, welche sich nach Wiedereinsetzen der Medikation verbesserten.


Klinische Überlegungen und Dosierung

Obwohl sich Guanfacin in diesen Fällen als wirksam zeigte, handelt es sich um Off-Label-Anwendungen außerhalb der zugelassenen Indikationen (ADHS bei Kindern/Jugendlichen). Wichtig ist daher eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung durch Fachärzt:innen. Begleitend sollten Blutdruck und Herzfrequenz engmaschig kontrolliert werden, denn als häufigste Nebenwirkungen gelten Hypotonie, Schwindel und Sedierung.


Dosierung und Therapiezeitraum:

Häufig wird Guanfacin mit einer niedrigen Dosis (z. B. 0,5–2 mg/Tag) gestartet, um Nebenwirkungen zu minimieren. Steigerungen sind individuell möglich, wie im geschilderten Fall bis auf 4 mg/Tag. Die Berichte zeigen, dass eine Behandlung über mehrere Monate sinnvoll sein kann; abruptes Absetzen kann zu Rückfällen führen.


Patient:innenselektion:

Bei PoTS sollte eine hyperadrenerge Komponente (z. B. via Valsalva-Test) sorgfältig geprüft werden.


Bei Long-COVID ist Guanfacin vor allem bei dominierenden kognitiven Einschränkungen einen Versuch wert, falls andere Maßnahmen wie Reha, Ergotherapie oder Physiotherapie nicht ausreichen.


Ein Sthethoskop und Herz und Bauklötze
Guanfacin kann eine gute Option bei hyperadrenergem PoTS sein

Ausblick und Schlussfolgerung

Guanfacine hat sich in ersten Studien und Fallserien als interessante Behandlungsoption herauskristallisiert, sowohl für eine hyperadrenerge Untergruppe von PoTS-Patientinnen als auch für Betroffene von Long-COVID mit ausgeprägtem Brain Fog. Während die bisherigen Ergebnisse Hoffnungen wecken, ist die Datenbasis noch dünn. Größere, randomisiert-kontrollierte Studien wären nötig, um Aussagekraft, Wirksamkeit und Sicherheit genauer zu beurteilen. Dennoch kann Guanfacine – unter sorgfältiger ärztlicher Aufsicht und Monitoring – für einzelne Patient:innen eine wertvolle Off-Label-Option darstellen, wenn herkömmliche Ansätze zu wenig greifen.


Da Long-COVID und PoTS stark lebensbeeinträchtigend sein können, ist die Entwicklung neuer Therapiebausteine von großer Bedeutung. Guanfacine könnte hier, je nach individueller Pathophysiologie und Vorliegen eines hyperadrenergen Profils, eine Rolle spielen und betroffenen Patient*innen neue Perspektiven bieten.


Literatur (Auswahl)

Hyperadrenergic Postural Tachycardia Syndrome: Clinical Biomarkers and Response to Guanfacine.[Untersuchung zur Identifikation einer hyperadrenergen POTS-Subgruppe via Valsalva-Test und zum Ansprechen auf Guanfacine].

Kondo T, Higa R, Kuniba M, Shinzato H, Takaesu Y. (2024).Successful treatment with guanfacine in a long-COVID case manifesting marked cognitive impairment. Neuropsychopharmacology Reports, 44, 585–590.

Fesharaki-Zadeh A, Lowe N, Arnsten AFT. (2023).Clinical experience with the α2A-adrenoceptor agonist, guanfacine, and N-acetylcysteine for the treatment of cognitive deficits in “long-COVID19.” Neuroimmunology Reports, 3, 100154.

Arnsten AFT. (2020 & 2023).Mechanistische Arbeiten zu α2A-Agonisten, Neuroprotektion und neuroinflammatorischen Prozessen im präfrontalen Kortex.

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